Das war sein Leben

… das war sein Leben

ERINNERUNG AN PETER-ALEXANDER IWAND

Ein Beitrag von Manfred von Scheven (Hermann-Lietz-Schule Schloss Bieberstein)

„So bist du geschaffen so musst du antreten.“

Nie wieder bin ich einem Menschen begegnet, der so getreu dem vorgelebten alten Leitspruch seiner Familie folgte, wie ihm:

Hoch aufgewachsen, stattliche Haltung bis zuletzt, strenger Blick, schmale Lippen, kurze und gerade Nase, alles in allem den Eindruck äußerster Willensstärke vermittelnd, ja Distanz einfordernd, scheinbar sicher und gern seine Größe und Stärke in den Raum stellend, kompromisslos kämpferisch, seinem jeweiligen Ziel unbeirrt auf den Fersen, verlässlich und direkt im Gespräch, ja offen und grundehrlich gelegentlich bis an den Rand der ansonsten perfekt beherrschten Höflichkeit, gewandt und großartig geübte Etikette, immer mit einem Anflug von Ironie oder Selbstironie, dazu die wohl absichtlich ein wenig überprononcierte hochdeutsche Sprechweise, nie verheiratet und doch so offensichtlich dem Weiblichen zugetan, je nach Standort des Beobachters geachtet, bewundert oder irritiert und verständnislos gemieden, so lebte er,

Peter-Alexander Iwand, der am 7. August 2012 verstarb.

Geboren am 23. April 1938 in Leipzig, in Torgau an der Elbe evangelisch getauft, gaben ihm seine Eltern, der Kavallerieoffizier und Truppenführer Oberst Fritz Iwand und Astrid, geb. Freifrau von Luttitz, den Bibelspruch „Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und stark“ mit auf den Lebensweg. War es der zeitbedingte Enthusiasmus, dass die erwartungsvollen Eltern ihrem Erstgeborenen die Vornamen gleich zweier großer Persönlichkeiten der Weltgeschichte gaben?

Früh wurde ihm sein Vorbild entrissen, als der Vater aus Russland nicht mehr heimgekehrt war. Die Mutter mit den beiden Jungen an der Hand – Bruder Michael war inzwischen hinzugekommen – suchte Zuflucht in Oberbayern. Schloss Altenburg, Familienbesitz seines Urgroßvaters und Paten, wurde Peter zur Heimat. Jeder in der Familie hatte seinen Teil an der Verantwortung für das Überleben in der schwierigen Nachkriegszeit zu übernehmen. So war es Peters Aufgabe, für die Ausrüstung und die Köderbeschaffung zum Forellenfang zu sorgen, Forellen, die dann auf dem Münchener Markt verkauft wurden.

Den Wechsel zur Hermann-Lietz-Schule Schloss Bieberstein im Jahre 1952 hat Peter zeitlebens als richtungweisenden Glücksfall in seiner frühen Entwicklung angesehen. Bis zuletzt ist er ein tief überzeugter Lietzer und Altbürger gewesen. Hier konnte er in einer überschaubaren Gemeinschaft neben all dem anderen das erproben, was ihm sein Leben lang erstrebenswert erschien: männlich, stark und groß zu sein. In der Schülerfamilie ein durchsetzungsfähiger, stellvertretender Familienvater. Beim Mannschaftssport ein Hüne, an dem sich Mitspieler und Gegner gleichermaßen orientieren mussten. Bei Tanzveranstaltungen ein verlässlicher Organisator, ein großer Charmeur, ein herausragend guter Tänzer, bewundert von manch einer der jungen Damen. Er war stolz und glücklich, wenn er das Gefühl hatte, die begehrteste für sich eingenommen zu haben.

Ich erinnere auch gut, wie Peter einmal in einer selbstgebastelten, silberfarbenen Ritterrüstung mit Brustpanzer, Helm und Schwert zum Faschingsball erschien. Da war sofort die Distanz fühlbar, die zweite Haut, der Anspruch zu herrschen, unangreifbar an der Spitze zu stehen.

Zu unserer Zeit gab es noch eine Art Initiationsritus für neu aufgenommene Mitschüler: das nächtliche „Kippen“. Peter war selbstverständlich überzeugt davon, niemand würde es wagen, den großen und starken Neuling aus seinem Bett zu kippen. Uns allen war klar, dieser Goliath musste tiefschlafen, um überhaupt „antastbar“ zu werden. Um Mitternacht krabbelten neben dem „Neuen“ auch seine beiden Zimmergenossen in gut gespielter Empörung laut fluchend unter ihren umgestürzten Betten hervor. Peters spontane glaubhafte Drohung, dem Täter, wenn er ihn erwischen sollte, die Knochen zu brechen, sorgte dafür, dass die Aufklärung für immer ein Geheimnis blieb.

Gern erwähne ich diesen Vorfall, weil er deutlich zeigt: Peter war eigentlich nie nachtragend. Seine Fairness verschonte uns vor der Strafe, denn er hat nie aktiv versucht, den Täter ausfindig zu machen.

War nicht schon bald erkennbar, dass neben dem Herrschaftsanspruch zwangsläufig auch die Gefahr der Einsamkeit lauerte? Peter konnte sich manchmal tagelang im wahrsten Sinne des Wortes bei Wasser und Brot in seine enge Eremitage im steinernen vorderen Teil des „Schwalbennestes“ zurückziehen, wegen irgendeines Unwohlseins vom Unterricht und den gemeinsamen Mahlzeiten befreit. Und: Herrschen verschreckt. Auch in seinem späteren Leben umgab ihn so etwas wie eine Aura der Unnahbarkeit. So nimmt nicht wunder, dass es Kameraden gab, die nur schwer Zugang zu ihm fanden.

Und dennoch hat Peter in Bieberstein mit dem damals kühnen Bau der „Oase“ – unserer gemeinsamen Jahresarbeit 1958/1959 – eine Spur hinterlassen, die bis heute Bestand hat. Und wenn die Idee der jetzigen Heimleitung Wirklichkeit wird, die „Oase“ als zentralen Teil eines modernen Musikzentrums neu erstehen zu lassen, wird er in einigen wesentlichen architektonischen Merkmalen im Neubau weiterleben, vielleicht wieder 50 Jahre?

Nach einem kurzen Versuch, VWL zu studieren, entdeckte Peter beim Einsatz für den studentischen Begleitdienst seine Berufung zu dem, was ihn sein ganzes Leben tragen sollte: zur Hotellerie. Bereits in der Ausbildung am Tegernsee offenbarten sich seine dafür unentbehrlichen Anlagen: Übersicht, Zuverlässigkeit, Fleiß und auch der Anspruch, an der Spitze zu stehen. Ja, er wollte männlich, stark und groß werden. Hier war es ihm möglich. Und es dauerte tatsächlich nicht lange, bis ihm nach ungeduldig ertragenen Praktika die Führung weltweit renommierter Häuser anvertraut wurde. Peter eilte von Erfolg zu Erfolg, genoss den alltäglichen Umgang auf Augenhöhe mit den Großen der Gesellschaft. Er machte sich einen Namen in der Branche, sammelte hohe und höchste Ehrungen für Qualität und Gästezufriedenheit. Einmal verriet er mir eines der Geheimnisse seines Erfolges: „Als Hotelier musst du bedingungslos dienen, um bedingungslos herrschen zu können.“ Und er gab als Beispiel: Ein Gast nahm ihn nach dem sonntäglichen Abendessen im Hotelrestaurant beiseite: „Ich brauche bis spätestens zur Mitternacht 100 langstielige, rote Rosen – wie Sie das machen, ist Ihre Sache“. Müßig, vom Ausgang der Angelegenheit zu berichten.

Bald gewann er das Vertrauen seiner Auftraggeber, ganze Hotelanlagen von der Bedarfsanalyse und Standortsuche über die Planung und den Bau bis zur Schlüsselübergabe zu errichten. Bevor eine solche Aufgabe bewältigt war, hatte er längst das nächste Ziel ins Visier genommen, das er genau so rastlos verfolgte. „Weiter .. weiter ..“ – diesen für Peter typischen, selbst auferlegten Antrieb lernte ich kennen, als wir gemeinsam eine sechswöchige Mopedtour entlang den Küsten Dänemarks, Norddeutschlands und Hollands unternahmen. Jeden Abend suchten wir einen neuen Standort für unser Zweimannzelt. Und nicht selten, kaum dass das Zelt errichtet war, forderte Peter unvermittelt: „Wir können weiterfahren!“

Insgesamt eine Erfolgsgeschichte?

Wenn man es dabei beließe, bliebe eine seiner markantesten Charaktereigenarten ungenannt: Die Fähigkeit, sich auch nach schwersten Rückschlägen ungebrochen wieder aufzurichten, Misserfolge buchstäblich zu verkraften. Er war unentwegt auf der Suche, etwas zu schaffen, was Bestand hat. War sein Leben geprägt vom Vermächtnis des Ritterkreuzträgers und Vaters, dem soldatische Treue, unbeugsamer Kampfgeist, die Weigerung, zu glauben, dass etwas unmöglich sei, wichtige Lebensprinzipien waren? In dieser Weise jedenfalls stellte sich Peter seinem todbringenden Gegner, der den Kampf eröffnete, als er gerade 60 Jahre alt geworden war. Aus den damals prognostizierten vier Monaten wurden 14 Jahre eines ununterbrochenen, tapferen Widerstands! War sein Leben nicht ebenfalls geprägt von der Bewunderung für seine Mutter, der begabten und erfolgreichen MERIAN-Fotojournalistin? Auch Peter hatte die Kamera stets griffbereit bei sich, immer auf der Jagd nach unwiederbringlichen Augenblicken und Anblicken. Was er in bezaubernden

Bildbänden hinterließ, ist beste künstlerische Fotografie. Kunst ist ja auch immer ein Streben nach dem Vollkommenen und Unvergänglichen. Eine tiefe Sehnsucht konnte er sich im Jahre 2010 selbst erfüllen, nämlich noch einmal nach Südafrika zu reisen, in jenes Land, das nach eigenem Bekenntnis seine zweite, geliebte Heimat geworden war. Mit einer letzten großen Kraftanstrengung brach er ohne jede Begleitung nach Lesotho auf. Dort, freudig und würdig empfangen von ehemaligen Mitarbeitern, hörte er jeden Tag wieder die Anrede, die ihm adäquat erschien: Yes, Master.

Liebte er es, fremd zu sein? Konnte Peter vielleicht nirgendwo sonst als in der afrikanischen Wildnis sein Ich vollständig leben und sich glücklich fühlen?

Wer das verstehen wollte, musste das Wagnis eingehen und sich in Peters beeindruckende Sammlung afrikanischer Masken, Malereien und Skulpturen zu vertiefen. Peter wusste einfühlsam die Beweggründe der schwarzen Künstler zu erläutern, die erstaunlich naturnah und ehrlich, ikonografisch ebenso einfach wie genau auszudrücken verstanden, was sie über das Werden der Welt, über Leben und Tod, Freude und Leid, Liebe und Hass dachten und fühlten.

Im August 2012 bereiteten ihm seine Geschwister Michael, Ariane und Scarlett sowie eine Fülle von Menschen, denen er zu ganz unterschiedlichen Zeiten in seinem Lebenslauf begegnet war, einen bewegenden Abschied in unmittelbarer Nähe seines letzten Domizils und wenige Schritte entfernt von der Ruhestätte seiner Mutter, die nun auch seine ist, in Dießen am Ammersee.

Manfred von Scheven